IM JUGENDAMT
Jolanta Mirski, 57 J., ist seit 23 Jahren in der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach angestellt, seit 17 Jahren im Jugendamt. Damit gehört die Sozialarbeiterin in ihrem Team zu den Älteren mit der längsten Erfahrung im ASD (Allgemeiner Sozialer Dienst). Zusammen mit gut 20 Kollegen und Kolleginnen ist die Sozialarbeiterin zuständig, wenn das Wohl der Kinder in der Stadt gefährdet zu sein scheint.
Ihr winziges Büro teilt sie mit Uwe Jendrach, 27 J., der vor vier Jahren während des Studium sein Praktikum hier absolvierte und anschließend fest angestellt wurde. Über zwei Jahre lang hat der Dokumentarfilmer Wolfram Seeger sich hier eingenistet, erst recherchiert und dann die tägliche Arbeit mit der Kamera beobachtet.
Das Jugendamt ist verpflichtet Hilfe anzubieten, wenn die Lebenssituation in einer Familie der Entwicklung eines Kindes schadet. Es kommen Menschen, die Rat suchen oder Hilfe brauchen: Paare, die die Trennung auf dem Rücken der Kinder austragen; Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen; Mütter, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Rund 100 Fälle bearbeitet ein Mitarbeiter im Schnitt pro Jahr. In den Akten findet man Reiche und Arme, Junge und Alte, Einheimische und Migranten.
A. Lorenz z.B. hat ihre Kindheit selbst im Heim verbracht – und fand es dort schöner als zu Hause, bei acht Geschwistern, Mutter, aber keinem Vater. Mit 24 Jahren bekam sie eine Tochter und das war „kein Wunschkind“. Die Beziehung ging auseinander, heute ist sie alleinerziehend und lebt in Bergisch Gladbach. Das Jugendamt hat eine Familienhelferin mit der Betreuung beauftragt, da Frau Lorenz mit der Erziehung und den einfachen Dingen des täglichen Lebens überfordert ist. Das Jugendamt begleitet sie auch vor das Familiengericht, als der leibliche Vater das alleinige Sorgerecht für sich beantragt.
Junge Leute wollen eine eigene Familie und Kinder, an denen sie gutmachen wollen, was bei ihnen schlecht lief. Aber sie wiederholen nur das, was ihnen selbst geschah und landen so zweimal beim Jugendamt. Erst als Kind, das es zu schützen gilt, und später als Elternteil, vor dem zu schützen ist.
Jolanta Mirski gibt sich keinen Illusionen hin über die Begrenztheit ihrer Hilfemaßnahmen. „Man kann die Leute unterstützen, man kann Impulse geben, aber dass sie sich verändern, dass müssen sie schon selbst machen.“ Einen umfassenden Schutz der Kinder wird sie nie leisten können. Über allem schwebt immer die Angst, etwas falsch zu machen, etwas zu übersehen zu haben; dass einem Kind in ihrer Zuständigkeit etwas angetan werden könnte.
In vielen Jugendämtern haben die Mitarbeiter kaum noch Kontakt zu ihren Klienten. Stattdessen beauftragen sie freie Träger, kirchliche Organisationen, Firmen oder Vereine. Das Jugendamt trifft lediglich die Entscheidungen und bezahlt. Laut Gesetz ist in Deutschland die Kinder- und Jugendhilfe privatisiert.
600 Jugendämter gibt es in Deutschland und jedes einzelne ist anders organisiert. Kinder- und Jugendhilfe ist Aufgabe der Kommunen, ihre Selbstverwaltung hat Verfassungsrang. Bundesweit sind die Ausgaben für die „Hilfen zur Erziehung“ auf ein Rekordhoch gestiegen, aber in den Jugendämtern muss gespart werden. In NRW wurden 2014 mehr als 13 000 Jugendliche in Obhut genommen und in einer anderen Familie oder in einer Einrichtung untergebracht. Das ist eine Zunahme von 7,7 Prozent gegenüber 2013.
Die Mitarbeiter der Jugendämter kämpfen gegen das schlechte Image an. Ihnen wird vorgeworfen, entweder zu früh und zu viel einzugreifen – oder zu spät und zu wenig. Es ist eine äußerst schmale Grenze zwischen Kindesrecht und Elternhoheit, an der sie da tätig sind.
Nicht nur die Lebensgeschichte ihrer Klienten, auch die Lebensgeschichte von Jolanta Mirski ist Thema der Langzeitbeobachtung von Wolfram Seeger. Am Ende der Dreharbeiten – 18 Jahre ist sie jetzt beim Jugendamt – räumt sie entnervt ihr Büro und wechselt innerhalb der Stadtverwaltung zur Betreuung von Asylbewerbern.