Wie ein quälender Schatten –
Opfern von Gewalttaten
Eine Dokumentation von Wolfram Seeger
Redaktion: Elke Hockerts-Werner
Lisa Namgalies wird abends auf dem Nachhauseweg von einem drogenabhängigen Pärchen überfallen; der Mann hält ihr ein Messer an die Kehle. Mit dem erbeuteten Portemonnaie entfernen sich die beiden Täter in aller Seelenruhe. Bärbel Gabriel arbeitet aushilfsweise in dem Sonnenstudio, das ihrer Tochter gehört, als zwei Jugendliche eintreten und sich als Kunden ausgeben. Plötzlich zieht einer von ihnen eine Waffe und fordert Geld. Bärbel Gabriel wird in einen kleinen, dunklen Raum gesperrt und steht Todesängste aus, weil die Täter gedroht haben, das Studio in Brand zu stecken.
250.000 Menschen pro Jahr werden in der Bundesrepublik Opfer von Gewalttaten. Während sich das Interesse der Öffentlichkeit in der Regel dem Täter zuwendet, bleibt das Opfer auf sich allein gestellt, ist für die Strafverfolger höchstens als Zeuge interessant. Dabei geht der angerichtete Schaden oft über das Körperliche und Materielle hinaus, hinterläßt vor allem Spuren in der Psyche. Auch Lisa Namgalies und Bärbel Gabriel leiden noch Monate nach der Tat unter Angstzuständen und benötigen therapeutische Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten.
Der Dokumentarfilmer Wolfram Seeger hat über Opferhilfe-Organisationen in Berlin und Hamburg Kontakt zu Opfern aufgenommen, deren Geschichten einen eher unspektakulären Ausschnitt alltäglicher Straßenkriminalität widerspiegelt und die allenfalls als kleine Notizen im Lokalteil der Tageszeitung auftauchen.
In den Gesprächen geht es um das Gewalterlebnis und die seelischen Auswirkungen nach der Tat. Die Gesprächspartner berichten über die Reaktionen von Bekannten und Verwandten, über ihr Bedürfnis nach Rache und Bestrafung, über den Verlust des Vertrauens in sich selbst und in ihre Mitmenschen – über den „Rausschmiß aus dem Paradies“, wie Bärbel Gabriel es beschreibt.
Wolfram Seeger ist durch behutsame Annäherung an Menschen, die normalerweise ungern über ihre Erlebnisse in der Öffentlichkeit sprechen, eine intensive Innenansicht gelungen.
Bleibende Verstörung
„… Über OpferhiIfe-Organisationen in verschiedenen Großstädten hat Seeger Kontakt zu Menschen aufgenommen, deren Leid aus der Konfrontation mit sogenannter Alltagskriminalität herrührt: Straßenraub, bewaffneter Einbruch, Vergewaltigung. Zögernd, aber eindringlich schildern sie den Tathergang und die Auswirkungen des Gewalterlebnisses auf ihr Leben.
Depressionen und der Verlust des Selbstvertrauens, aber auch ein tiefes Mißtrauen gegenüber anderen sind typische Langzeitfolgen. ‚Es ist, als ob man aus dem Paradies fällt‘, sagt eine Frau, die von zwei angeblichen Kunden ausgeraubt und eingesperrt wurde unter der Drohung, das Sonnenstudio in Brand zu stecken. ‚Da ist jetzt immer das Bild eines freundlichen Mitmenschen, der innerhalb einer Sekunde sein kriminelles Gesicht zeigt.‘ …“
Kölner Stadt-Anzeiger
Unsichtbare Wunden
„… Ganz leicht wäre es gewesen, darüber einen reißerischen Film zu machen, mit ein wenig Sex und viel Crime, nachgestellten Überfällen und einer lautstark formulierten Anklage. Seeger … hält sich zurück. Genauso unspektakulär wie eindringlich dokumentiert er die Seelenqualen dieser Menschen; schafft es, ganz nah an sie heranzukommen und dennoch nie aufdringlich zu sein Da gibt es keinen Kommentar und keinen vor der Kamera argumentierenden Reporter. Was die Opfer sagen, spricht ganz für sich. …“
Süddeutsche Zeitung
Emotionaler Overkill
„… Das da heißt, aufzuzeigen, was Opfer fühlen, die kleinen Zeitungsnotizen mal von deren Seite zu betrachten, ihnen eine Plattform zu geben in einem Land, in dem zwar die Rechte der Täter gesetzlich festgeschrieben sind (wie zum Beispiel Pflichtverteidiger), ein Opfer dergleichen allerdings nicht hat.
So pladdert die Reportage mit dem hohen und anzuerkennenden Anspruch vor sich hin, 45 Minuten dehnen sich zu einer Unendlichkeit und das Mitgefühl, das Entsetzen, das Nachdenken fallen von Minute zu Minute schwerer. …“
Die Welt
„… Vollkommen ohne reißerische Mätzchen kommt diese Dokumentation aus – die geschundenen und zum Teil noch immer seelisch verstörten Menschen erzählen lediglich vor der Kamera, und beim Zuschauer wachsen Abscheu gegen Gewalttäter und Mitleid mit den Mißhandelten gleichermaßen. Ein beeindruckender Film, viel schrecklicher als mancher TV-Schocker.“
Der Spiegel
Wenn die Schuld bei den Opfern gesucht wird
„… Der Autor kommentiert nicht, läßt seine Interviewpartner für sich selber sprechen. Seeger nähert sich mit der Kamera behutsam. So ist kein spektakulärer Film entstanden, sondern ein engagiertes Plädoyer dafür, die Leiden der Opfer wahrzunehmen. …“
Frankfurter Rundschau
Die Opfer schauen uns an
„… Seeger spricht keine Kommentare, kaum bewegt er die Kamera vor den Gesichtern der Sprechenden. Er ist ein Dokumentarfilmer mit dem Gestus ein Anwalts, der an seine Klienten glaubt. Er halt sich mit Engelsgeduld in Lebenssphären auf, die „anders“ sind und nicht verstanden werden, und dieses Nichtverstehen zeigt er. Seine letzte Dokumentation nannte er „Altenheim“ als ob er auf die paar Zuschauer unter den ohnehin wenigen, die von einem spannenderen Titel angelockt worden wären, auch noch verzichten könne.
… Es spiegelt nur das Dilemma der Opfer, wenn es dem Betrachter der Dokumentation bald so ergeht wie den Angehörigen, die bei allem Verständnis irgendwann denken: Nun muß es doch genug sein. Nach einiger Zeit erträgt man die Beschreibungen der Todesangst kaum mehr. Langer als die fünfundvierzig Minuten. die er dauert, dürfte dieser Film nicht sein. Nicht, weil er nicht gut ist. Sondern weil er einem sehr viel abverlangt.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Auf die Opfer von Gewalt schaut keiner
„… Es gelingt dieser Reportage, Verständnis für die Opfer zu wecken, auch wenn der Filmemacher offenbar nur über ein Stilmittel verfügt, das Frage und Antwortspiel im Wohnzimmer der Betroffenen. Verständnis ist schön, Verstehen von Zusammenhängen wäre noch schöner. So bleibt „Wie ein quälender Schatten“ in der Darstellung stecken. Etwas mehr Analyse, wie sie die Psychologin der Opferhilfe bietet, wäre nützlich gewesen.“
Rheinische Post
„Eine gewisse Art von Tod“
„Gewalt Ist nur ein Wort. Und Gewalttaten dauern oft nur Sekunden oder wenige Minuten. Doch wer Opfer einer Gewalttat wird, leidet körperlich meistens Wochen und Monate, seelisch nicht selten sogar viele Jahre. Eine Vergewaltigung oder einen brutalen Raubüberfall hat man nicht nach kurzer Zeit verdaut. Alpträume und Angstzustände graben tiefe häßliche Furchen in die Psyche. So manches Opfer empfindet den Verlust des Vertrauens in sich und die Mitmenschen als „Rausschmiss aus dem Paradies“.
… Mit solchen Erfahrungen werden die Opfer später meistens allein gelassen. Für die Polizei steht die Fahndung nach dein Täter im Mittelpunkt, für die Justiz das Ringen um eine gerechte Strafe; die seelischen Qualen des Opfers sind höchstens zweitrangig. …“
Osnabrücker Zeitung
Wunden auf der Seele: Gewaltopfer erzählen
„… Die Öffentlichkeit interessiert sich meist nur für die Täter. Den Opfern in einer Dokumentation 45 Minuten Gehör zu verschaffen, ohne kluge Kommentare abzugeben, und sie nicht wie in Talkshows zu knalligen Statements zu verleiten – das ist schon mehr als nur gut gemeint. Für die Interviewten scheint der Film etwas von einer Therapie-Sitzung gehabt zu haben. Die Zuschauer indes erfahren einiges über jenen gewalttätigen „Rausschmiss aus dem Paradies“, über das Gefühl der völligen Ohnmacht, das urplötzlich zerstörte Weltbild und über „die unendliche Traurigkeit“, die sich immer wieder einstellt. …“
Berliner Morgenpost
„Mord an der Seele“
„… Der Autor wollte wohl nicht den Anwalt spielen. sondern eher ein Forum bieten. Deshalb spricht Seeger nicht für die Opfer, er läßt sie sprechen. Nur langsam fügen sich die Erinnerungen zusammen, oft fehlen den Menschen die richtigen Worte.
So ist eine Collage des Leidens entstanden, ein sperriger Beitrag. der den Zuschauer zum Zuhören zwingt. Die große journalistische Leistung des Autors kann man als Zuschauer nur erahnen: Er hat den Opfern offenbar Mut gemacht, vor die Kamera zu treten, ihre Scham zu überwinden. Die Interviewpartner haben Ihm vertraut, obwohl ihr Vertrauen durch die Verbrechen schwer erschüttert ist. …“
Darmstädter Echo
Zu viele Fallbeispiele
„… Kein besserwisserischer Kommentar störte den Fluß und die Aussagen der Leidgeprüften, die in aller Ausführlichkeit über die Verbrechen an Körper und Seere berichteten. Bald stockend, bald hektisch formulierten Frauen und Männer ihren Weg in die Lebenskrise, gezeichnet von Gewalt und Terror, ein unumkehrbarer Prozeß, der auch nach dem Gewaltakt Gesichter und Psyche gezeichnet hat.
… Trotz löblicher filmischer Ansätze verhedderte sich freilich die Reportage schlussendlich im Gestrüpp allzu vieler Einzelschicksale. Die Reduzierung auf ein oder zwei Fallbeispiele wäre in der Tat zwingend gewesen. Zu beliebig und unstrukturiert schien das Filmmaterial geschnitten, zu abenteuerlich waren die Sequenzen vernetzt. Schade.“
Der Tagesspiegel
Mit dem Schrecken davongekommen?
„… Der Film demonstrierte, was wirklich dahinter stecken kann, wenn jemand „mit dem Schrecken davongekommen“ ist. Und die Kamera blieb stets nah dran an den Menschen, ohne je aufdringlich zu wirken.
Genau das machte letztlich allerdings auch eine Schwäche des Films aus: Der Zuschauer wurde mit einem Opfer nach dem anderen konfrontiert. Variationen beschränkten sich fast ausschließlich auf die individuelle Gestik.“
Kölner Stadt-Anzeiger
Das Leid der Opfer
„… Angst vor Dunkelheit und vor Geräuschen, Weinkrämpfe, Depressionen, Schlafstörungen, Haarausfall und vor allem eine fundamentale Unsicherheit im Umgang mit Mitmenschen, die eben noch freundlich und vertraut schienen und plötzlich ein Messer zücken, sind Folgen, mit denen sich die Opfer noch Jahre nach der Tat quälen. Gewohnheiten ändern sich durch die Erfahrung der Machtlosigkeit, Schuldgefühle tauchen auf – und das Bedürfnis nach hermetisch geschlossenen Fenstern. …“
Münchner Merkur
Dicht und konzentriert
„… Offen reden die Frauen und Männer über ihre Erlebnisse, genauso offen schildern sie ihre Gefühle. Ganz dicht ist die Kamera an den Gesichtern. Das schafft Mitgefühl beim Zuschauer, auch wenn der Film insgesamt sehr spröde wirkt: Statt filmischer Mätzchen sieht man nur redende Köpfe. Auf Kommentar oder Musik hat der Autor verzichtet. So machte es einem die Dokumentation nicht leicht, sie erreichte aber eine Dichte und Konzentration, wie sie selten Im Fernsehen anzutreffen ist.“
Bonner General-Anzeiger
Eine gewisse Art von Tod
„… Wie die Kehrseite der Medaille aussieht, hat Wolfram Seeger in einem ungemein behutsamen und eindringlichen Film aufgezeigt. Und falls es noch überrascht: weil ausnahmslos männliche Gewalt im Spiel ist, müssen vornehmlich Frauen die Hauptrolle spielen. Die seelischen Verletzungen, die Seeger und sein Team zu Protokoll genommen haben, lassen nur einen Schluß zu: sie sind tiefer, schmerzhafter und langwieriger, als es Außenstehende wahrnehmen können oder wollen. …“
Stuttgarter Zeitung
Mit Respekt für die Menschen
„Wenn der Dokumentarfilmer Wolfram Seeger Menschen ins Visier nimmt. kann man sich ruhig niederlassen, weil man weiß: In diesem gefräßigen, menschliche Schicksale und Erfahrungen vermarktenden Medium Fernsehen gehört Seeger zur aussterbenden Spezies der Diskreten. Er lädt sein Publikum nie zum Voyeurismus ein, kitzelt weder Sensationslüsternheit hervor noch Lachlust über die Menschen, die er porträtiert.
… ‚Wie aus dem Paradies hinausgeworfen‘ fühlt sich eine Frau, die im Sonnenstudio überfallen wurde. Und mit dem ‚Paradies‘ meint sie den Zustand des Vertrauens in die Unverletzbarkeit durch Fremde, dieses ‚Mir könnte so was nie passieren‘. Wie tief das sitzt, stellt man dann an sich selber fest: Man würde gern genauer wissen, wie es zu diesen Überfällen kam – als wäre die Gefahr des Überfalls durch Vorsicht zu vermelden.
… Dies bewusst zu machen und trotzdem keine blinde Angst zu schüren – dazu braucht es schon einen Dokumentaristen vom Format des Wolfram Seeger. Einer der wenigen, der seelische Zerbrechlichkeit noch respektiert. Einer, der Menschen zeigt, nicht Monstren, Quasselstrippen, Medienmutationen.“
Deutsches Allgem. Sonntagsblatt
Bedrückend
„… Quälend langsam entwickelten sich diese eindrucksvollen Interviews. nur stockend und sichtlich fassungslos konnten die bedauernswerten Opfer berichten Durch welche Hölle sie seitdem gehen, das wurde dank dieses unprätentiösen Films gut nachvollziehbar: „Panikattacken ziehen sich durch meine Nächte, stets bin ich unsicher, wenn es dunkel wird, jedes Geräusch läßt mich zusammenfahren!“ Der seelische Schaden ist unübersehbar. …“
Weser Kurier